Die Europäische Union verfügt über unzureichende Instrumente, um wirksam gegen Missbrauch von EU-Geldern und Verstöße gegen Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten vorzugehen. Die Situation in Ländern wie Ungarn und Polen zeigt deutlich, dass die EU endlich handeln muss.
Die EU-Kommission und das Europäische Parlament haben gute Vorschläge für einen Rechtsstaatsmechanismus vorgelegt. Diesen haben die Mitgliedstaaten auf dem EU-Gipfel im Juli stark abgeschwächt, die Bundesregierung für die Kompromisssuche zwischen EU-Rat, EU-Kommission und EU-Parlament endgültig entkernt. Für Sanktionen braucht es eine qualifizierte Mehrheit, die Kriterien wurden beschränkt auf schwere Korruption, alle weiteren wurden gestrichen. Außerdem soll sich der Rat, also mit Einstimmigkeit, mit Sanktionen beschäftigen.
Zur nächsten Runde im Trilogverfahren heute haben wir diesen Aufruf gestartet, den über 100 Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus 14 Ländern unterzeichnet haben. Die Europäische Union gründet sich auf die gemeinsamen Werte Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und grundlegende Menschenrechte. Dies ist in Artikel 2 des EU-Vertrags verankert.
Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft steht derzeit vor einer gewaltigen Herausforderung: Sie muss einen Kompromiss für den nächsten EU-Haushalt und den EU-Wiederaufbaufonds NextGeneration EU finden. Beide hätten einen echten Mehrwert für die europäischen Bürgerinnen und Bürger, da sie dazu beitragen, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise zu überwinden und den Wandel zu einer ökologischen und sozialen Marktwirtschaft in Gang zu setzen.
Gleichzeitig werden Verhandlungen geführt, um den europäischen Haushalt und unsere finanziellen Interessen vor Verstößen gegen den Rechtsstaat zu schützen. Wir bedauern sehr, dass der Europäische Rat die Bemühungen der Kommission und des Parlaments, den rechtsstaatlichen Rahmen für den MFR und den EU-Fonds der nächsten Generation aufrechtzuerhalten, erheblich geschwächt hat. Wir fordern daher den deutschen Vorsitz und alle Regierungen der Mitgliedstaaten auf, sich für eine rechtsstaatliche Konditionalität der EU einzusetzen, die diesen Namen verdient:
● Ein klarer und entschlossener Prozess zur Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit. Dies sollte in Form einer delegierten Entscheidung der Kommission erfolgen, die nur mit qualifizierter Mehrheit im Rat rückgängig gemacht werden kann.
● Kriterien, die zumindest Verstöße gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit und die Unabhängigkeit der Justiz einschließen.
● Die Möglichkeit streichen, dass Mitgliedsländer eine Einigung auf einen künftigen Europäischen Rat verschieben können.
● Ein System, das es europäischen Bürgern, lokalen Behörden und Unternehmen ermöglicht, direkt auf EU-Gelder zuzugreifen, falls das Verhalten ihrer Regierung sie daran hindert, diese über reguläre Kanäle zu erhalten. Kein europäischer Bürger sollte dafür bestraft werden, dass seine Regierung die Gründungsprinzipien unserer Union nicht respektiert und aufrechterhält.
Dieser Aufruf zum Handeln ist äußerst dringend. Wir stehen vor einer beispiellosen Krise unserer Werte, die das Überleben der EU als Projekt der Demokratie und des Friedens bedroht. Rechtsstaatlichkeit ist keine Frage von Ost gegen West, keine Frage von Süd gegen Nord, „Sparsame“ gegen Freunde der Kohäsion. Die europäische Demokratie betrifft alle europäischen Bürgerinnen und Bürger – lassen Sie uns unsere gemeinsamen Werte schützen!
Dr. Franziska Brantner, Sprecherin für Europapolitik der Grünen-Bundestagsfraktion
Daniel Freund, Verhandlungsführer im Haushaltskontrollausschuss für die Grünen-Fraktion im Europaparlament